Abschiednehmen

Irgendwo klopft einer mit dem Hammer auf Metall. Etwas fällt zu Boden.

Ein Auto fährt vorbei, die Boxen dröhnen, der Arabische Sound geht mir immer sofort in die Füße. Katzen miauen. 

Wasser tropft aus dem Schlauch einer Klimaanlage und landet mit leisem Plopp in einer drunter aufgestellten leeren Eisverpackung. Eidechsen an der Hauswand. 

Eine Kreissäge kreischt, am Nachbarhaus wird gebaut. 

Ich bin heute morgen ausgezogen aus meinem Zimmer.  Es war nur bis heute frei. Abschied von Harel. Abschiednehmen fällt mir immer schwer. Und noch kann ich nicht nach Hause. Bin also in between. In vielerlei Hinsicht. 

Ich trage meinen Rucksack wie ein schweres Schneckenhaus hinüber ins Altersheim. Eine müde, etwas traurige und erschöpfte Schnecke. Zwei Nächte bin ich noch in Haifa. Das Zimmer neben Judith ist frei. Hier hat Zwi bis vor kurzem gewohnt, nun hat er ein schöneres Zimmer.

Sonderbar der Gedanke: ich schlafe im Altersheim.. aber eigentlich ein ganz passender Abschluss. Das Zimmer teile ich mir mit Nancy aus Kanada, eine Ältere Lady, die nun für 2 Monate hier sein wird als Freiwillige. Dafür muss man kein junger Hüpfer sein.

Ich vermisse den Hund. Laufe spät am Abend etwas verloren durch die Straßen. Gehe an den Rand von dem Abgrund, der sich Einsamkeit nennt. Aber eben nur an den Rand, nur an das Gefühl. Es ist nicht meine Realität. Meine Realität ist meine Familie zu Hause, auf die ich mich so sehr freue. 

Davor noch überall Abschied nehmen: ich werde beschenkt. Warme Puschen, ein, Tuch, ein Anhänger, Ein Bild, 

Ich werde geküsst und geknuddelt.  Letzte Massage von Rita's Händen und Füßen, Fanny kocht mir noch mal einen starken Kaffee. Der Wäscheständer ist nun wieder bei Sofja. Wir reden über ihre Familie, sie zeigt mir all ihre Enkel und Urenkel. "Das ist mein Vermögen." Hinter ihr ist Leere. Oder Erinnerung. 

Sofja ist aktiv, organisiert viel im Heim. Versammelt die Leute an Shabbat, kocht Kaffee für sie, bringt Kuchen. Wir reden über das Land, mich interessiert, was sie denkt, über die aktuelle Situation, die Nachbarschaft von  Juden und Arabern.

Immer kreise ich um diese Thematik, horche nach, sammle Meinungen.

Und so entsteht ein Kaleidoskop, die Menschen zeigen mir, was sie denken und fühlen: Im Kern immer das Thema Verlust. Die Heimat in Europa, Deutschland, Polen, Rumänien..

Die Angst davor, was wäre, wenn all die Millionen Araber, die in den Flüchtlingscamps geboren wurden, zurückkommen würden. Der Wunsch, dass sie dort bleiben und dort ihr Leben leben. Dass sie aufhören können, sich noch in der 3. Generation als Flüchtlinge zu fühlen. Noch als Flüchtlinge behandelt werden von den unterstützenden Organisationen. 

Ich verstehe sie alle, wenn sie das sagen. Ich sehe diesen Zusammenhang. Ich sehe, wie sehr die Juden ihr Land brauchen. Ich freue mich deshalb über jeden, der sagt, dass er zusammen leben will mit den Arabern in friedlicher Nachbarschaft. Diese Themen betreffen unser aktuelles Klima genauso in Deutschland. Und wie schwer ist es, diesen Diskurs verantwortungsvoll zu führen 

Es ist nicht an mir, zu belehren. Ich erzähle manchmal dann von Marwan, dem Bedouin, wie er, mit dieser intensiven Erdverbundenheit, an den Bäumen seiner Kindheit hängt. Sie loslassen muss. 

Loslassen und Aufgeben, was für gewichtige Worte, die mir da gerade durch den Kopf geistern.

Nach einer Altersheim--Nacht nun ein letztes Mal am Strand. Auch das Meer bekommt seinen Abschiedskuss. Er ist salzig.