Ankommen und eine Nacht in Jerusalem

Wolkenschafe, von oben betrachtet
Wolkenschafe, von oben betrachtet

29.Juli

Im Flugzeug nach Tel Aviv , neben mir sitzt eine ältere Dame aus Strasbourg mit ihrem Sohn. Sie liest im Gebetbüchlein, ich entziffere ein paar hebräische Buchstaben und ab und zu wechseln wir ein paar französische Worte. 

 

Mein Blick schweift aus dem Fenster, schon seit langem sehe ich Inseln, Wolkenwatte und türkisblaues Wasser unter mir.

 

Von Minute zu Minute merke ich, wie ich ankomme in meiner Reise.

 

Lars hat mich zum Flughafen nach Baden- Baden gebracht, ein winzig kleiner Airport, die Passagiere des ersten Fluges fast ausschließlich Juden. Ein Sprachmix aus Französisch und Hebräisch umkreist mich freundlich und macht mir immer klarer, dass es wahr ist: ich bin unterwegs, höre die mir nun schon vertrauten, geliebten beiden Sprachen und übe mich im Verstehen winziger Satzfetzchen.

 

Ovid ist im Gepäck und will bis Herbst gelesen sein. Ich habe die wunderbare Aufgabe, eine Auswahl zu treffen, die mich und Anna auf die Bühne holt. Diese Zeit ist die Realisierung so mancher Träume. Ich gehe nach Haifa, ich habe zukünftige Projekte mit Kollegen vor mir, ich kann mich suchen, finden, verlieren und wieder  finden.

 

In einem ersten Versuch habe ich soeben handschriftlich begonnen, in mein Tagebuch zu schreiben. Aber der Stift rutschte eher lustlos über das Papier… ein paar einleitende Sätze notiert und dann war mir klar: Ich werde hier in meinem Blog  tipp- schreiben. Das Buch fülle ich mit Skizzen, Bildern, Entwürfen, Farbe.

 

Ein Buch von Olga Tokarczuk wird mich begleiten: Unrast ist der Titel- Beschreibungen von Menschen, die es nicht lassen können, unterwegs zu sein. Bei meiner ersten Reise nach Jerusalem waren es die Memoiren von Fritz Kortner, die mir erstaunliche Einsichten eröffneten und mich buchstäblich begleiteten. Nun also eine Autorin, die vom Reisen als innerer Notwendigkeit schreibt.

 

Gerade schaue ich auf endloses Blau unter mir… terramediterranea…

 

Natürlich fällt es mir wieder ein- das Wort, dass diesem Meer seit ein paar Jahren anhaftet: Massengrab. Aber in mir ist so viel Vorfreude, dass ich spüre, wie sich meine gute Laune diesem Sachverhalt versperrt. Ob ich in Haifa am Strand baden werde? Und wenn ja, mit welchen Gedanken?

 

Ich will versuchen, hier beim Schreiben nicht zu werten, zu verschnörkeln, zu editieren. Das Stück „Die Brücke nach Haifa“ wartet geduldig auf mich und so manche Texte, die in den nächsten zwei Monaten entstehen, werden da hinein gehören. Aber zunächst such e ich nach dem ungestörten Fluss der Gedanken, die ich einfach notieren kann. Darauf freue ich mich sehr.

 

Unter mir Wolkenpunkte, Schäfchen, von oben betrachtet- endloses Blauweiß.

 

Ich schaue aus meinem winzigen Bordfenster nach links, in Richtung Osten. Also ist dort irgendwo in der Ferne Syrien? Unfassbar, diese Gleichzeitigkeiten von Leichtigkeit, Vorfreude, Abenteuer, Selbstverständlichkeit und Krieg.

 

Landeanflug beginnt, es knackt in den Ohren, und schaue ich nach links hinten, denke ich mit einem Lächeln: Haifa.

 

Nur ein paar Stunden später, runtergekühlt auf 22 Grad, sitze ich in einem Gästezimmer auf dem Bett. Das ist schon sehr schön, hier erst einmal gleich nach dem Flug in einer Familie anzukommen. Morgen fahren wir zusammen nach Jerusalem.

 

Ein Abendgespräch in der Familie.

Momentaufnahmen, ein kleiner Mikrokosmos:

 

Die Eltern kommen müde von der Arbeit, haben sich durch 35 Grad im Schatten mit ihren Autos gekämpft.

 

Er liest am Tisch, sie stellt Teller, Käse, Wein und etwas Brot auf den Tisch, die Kinder kommen dazu, oder auch nicht, keine Kraft, um sie zusammen zu rufen. Der Sohn wird selbstverständlich bedient wie der Papa.

Gegen später Gespräche, es geht u. a. um die Army. Grenzbewachung im Norden…entscheiden, welches Flugzeug aus dem unerlaubten  Luftraum heruntergeholt wird… möchte ich eines meiner Kinder dort sehen? Unvorstellbar…        

Heute Morgen im Auto mit der Mutter und ihren beiden Töchtern nach Jerusalem.

Am Abend  dann allein in abendlich kühler Luft oben auf meinem geliebten Platz über den Dächern. Im Hostel hab ich eingecheckt und mir einen Bettplatz im Frauenschlafsaal ergattert. Kurzer Besuch bei Musa in seinem Töpferladen.

Dann die schönen vertrauten Plätze aufgesucht. Der muslimische Friedhof, jedes Grab ist in meinen unwissenden Augen eine edel beschriebene Skulptur. Die arabische Schrift ist ein Juwel.  Meine Augen schweifen über den weißen Stein. Gegenüber der Ölberg glänzt weiß in der Sonne. Unwissend habe ich mich auf Grabsteine gesetzt und wurde freundlich aufgefordert, mich da nicht drauf zu setzen. Am Damaskusgate eingehüllt in arabische Musik, das obligatorische Pita Falafel und Hummus…Ja, nun kann ich bereits von obligatorischen Dingen schreiben, die ich hier immer mache.  Ich setze mich auf die Steinstufen zum Essen, höre die Wachsoldaten hinter mir sprechen, es ist mir egal, auch als ich  beim kurzen Umdrehen in den hochgehaltenen Gewehrlauf geschaut habe. Er gilt ja nicht mir. Können Gedanken abstumpfen?

 

An meinem alten Hospiz vorbei, die Tür zum Garten stand noch offen und mit den Gedanken an Mira habe ich mich für einen kurzen Moment dort hineingesetzt. Die Dunkelheit hat mich schon eingehüllt und ich konnte in Ruhe an sie denken. Es wächst keine Minze mehr, die Beete mussten einer Sitzgruppe weichen.

 

Am Platz vor dem großen Rathaus steht ein Klavier, drum herum versammeln sich Abendspaziergänger. Ich liege in einem Liegestuhl und genieße die Improvisationen eines sehr guten Pianisten. Hier auf der jüdischen Seite von Jerusalem ist es heller, gepflegter, reicher…westlicher natürlicher auch. Und ich kann mich in diesem Liegestuhl herrlich entspannen, lasse mich von der Musik tragen, und wieder einmal wie schon früher staune ich, wie schnell man in Jerusalem die Seite wechseln kann. Nur ein paar Schritte den Berg hoch am Hospiz vorbei und man ist in der anderen Welt.

 

Ein Arrak in der Jaffastreet, tanzende Menschen vor der Bar. Ich begleite mich selbst in meinen Gedanken. Da ist es wieder, dieses vertraute Gefühl. Mit meinem Laptop vor der Nase, fühle ich mich irgendwie aufgeräumt. So kann ich hier ganz entspannt in der Lounge sitzen. Seltsam sind diese Momente, wo ich mich frage, ob ich hier in so einer Bar als Frau in meinem Alter sein kann. Aber ich beginne, oder bin schon mittendrin, unsichtbar zu werden. Und so, wie die Autorin in einem Buch das beschreibt, hat das eben auch eine gute Seite.

 

Was wird mich in Haifa erwarten? Auf jeden Fall werde ich dort nicht mehr so viel alleine herumstreichen, wie ich das die letzten beiden Male getan habe. Ich freue mich auf meine neue Aufgabe. Auch wenn ich, so glaube ich, bisher null Ahnung habe, wie es sein wird für mich, mit den Menschen im Altersheim zusammen zu sein.

31.07. Eine Nacht im Hebron Youth Hostel in der wunderschönen Altstadt von Jerusalem liegt hinter mir. Im Doppelstockbett (unten) konnte ich phasenweise sogar schlafen.

Gestern wurde ich in der orthodoxen Familie dafür bestaunt, dass ich hier so einfach unterwegs bin. Es ist einfach. Ich stelle manche Dinge nicht in Frage. Zum Beispiel eine spontane Übernachtung in einem Youth Hostel im Arab Quarter der Jerusalemer Alststadt. Warum auch nicht? Hier, am Morgen auf dieser schönen Dachterasse, mit meinem frisch gebrühten Kaffee im Pappbecher, beim Wettstreit der Glocken um mich herum,  gibt es nur ein inneres Ja.

Ein Afrikaner putzt etwas lustlos Bäder und Teeküche, packt frische Mülltüten in die Eimer, schlurft herum, wundert sich vielleicht immer wieder über die Touristen, die hier ankommen, sich auf der Dachterasse schminken, stundenlang ihr Haar bürsten oder die streunenden Katzen mit Salami füttern.

Da ich meinen schweren Rucksack an der Rezeption lassen kann, laufe ich unbeschwert los auf meine Morgenrunde.

Ich sollte Düfte festhalten können:

1. den Duft von frisch gebackenen süßen Broten. 

 

2. Abu Shukri steht schon in der Küche und bereitet seinen Hommos vor. Aus seiner geöffneten Tür arabische Musik. 

 

3. Die Gewürze in der Gasse unter mir, der typische Duft von Zatar und Weihrauch. 

    

Was an meinem Auge vorbeistreift:

Die kugelsicheren Westen, ich hatte den Anblick schon vergessen.  

 

Ich entscheide mich auf einen Gang zum Tempelberg, er ist heute geöffnet, das muss ich nutzen. 

 

Über dem  Holzgang schwebt man sozusagen über den betenden Juden, die mit Singsang und leidenschaftlicher vorundrückbewegung ihre Mauer anbeten. 

 

Am Eingang wird meine keusche weiße Bluse um eine  Abdeckung erweitert. Man sieht zu viel Hals. 

 

In der Weite dieses Platzes rund um den Felsendom gehen Muslime zu ihrem Morgengebet. 

 

Ein paar Touristen. Es ist ruhig heute. 

 

Es klickt auf meinem Handy: "Reisen ist die Sehnsucht nach Leben" - bietet mir meine tägliche Hebrewlektion soeben an.  

 

Also sitze ich im Schatten einer Steinsäule auf dem Tempelberg und konjugiere das Verb reisen....

 

Ani nosea. Zur Sicherheit stell ich den Lautsprecher leise. Wahrscheinlich wäre es nicht so gut, wenn ich hier hebräische Satzfetzen hören lasse. 

 

Ich kann die Runde schließen, indem ich zurück kehre zur Klagemauer. Sie wird hier liebevoll Kotel genannt.

 

Vom Wachpersonal wurde ich diesmal freundlich entlassen, mache aus meinem Touristenstatus keinen Hehl. An der Kotel sitzt wieder die weiße Taube in ihrer Nische zwischen den Steinen. 

 

Gute Laune im Cofix, meinem geliebten 5 Schekel- Café. Der kleine Raum vor dem Tresen wird ausgefüllt von einer umfangreichen Mama mit ihren 1 2 3 4 nein 5 Kinderlein beim Frühstück. Mein morgendlicher Karottensaft und eine Cinnamon-Roll. Die israelische Variante von Beda- Andersons Zimt- Schnecken.    

Im Yad Vashem der Versuch, mich einzustimmen. Aber worauf will ich mich den einstimmen? Menschen zu begegnen, die in diesen Lagern gewesen sind? Ich laufe durch diesen Betongang, ein architektonisches Meisterwerk, ja. Der Blick, der Gang, die Gedanken des Besuchers werden buchstäblich gelenkt. Ich spüre das. Und es ist gut so. Menschen, die erschöpft auf Hockern sitzen und vor sich hin starren, denken, schweigen. Gruppen, die durchgeführt werden durch diese geballten Katastrophenbilder. Viele Fotos, Filme, Zeitzeugenberichte- ich sehe mein Stück vor mir und frage mich, ob ich diesem Thema gewachsen bin. 

 

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