Zum dritten Mal fahre ich ins große Hospital auf dem Carmel Berg.
Das erste Mal vor ca 2 Wochen: Marwan wurde dort ambulant operiert und ließ mich, wie immer spontan, kurzfristig und umständlich, wissen, dass er da ist. Ich bin dann unverzüglich hoch mit dem Bus, durfte ihn aber nicht sehen. Seine Familie, die bei ihm war, würde das nicht akzeptieren. Erst als er entlassen wurde, trafen wir uns für 15 Minuten vor dem Eingang. Dass sein Bruder ein paar Straßenzüge weiter auf ihn wartet, um ihn abzuholen und ich ihn dort nicht hinbegleiten kann, es bleibt mir fremd und unverständlich.
Dann eine nächtliche Fahrt mit dem Krankenwagen, an Manjas Seite, die an Rosh Ha Shana, in der Neujahrsnacht, mit Blaulicht, Herzschmerzen und Bluthochdruck dem Hospital auf dem Berg einen Besuch abstatten musste. Mit Manja habe ich ein paar Tage vorher noch getanzt. Wir halten Händchen inmitten der durch Vorhänge abgetrennten Kabinen. Die Gänge rappelvoll, Hochbetrieb, wie bei uns in den Weihnachtstagen, denke ich.
Manja, Malerin, Schriftstellerin, Journalistin- sie hat die Erinnerungen ihrer Kindheit, die erschöpfenden Märsche mit dem täglichen Grauen, den Erschießungen neben ihr, dem Hunger, der Angst, all dies festgehalten in spät gemalten Bildern. Das Buch werde ich mitbringen nach Hause.
Sie sind noch da, denke ich wieder einmal. Sie sind noch mitten unter uns. Hier.
Und nun fahre ich zu Shoshana.
Ich will in ihr fast taubes Ohr hineinrufen, dass wir an sie denken und wünschen, dass sie wieder nach Hause kommt. Shoshana, 99 jährig, hat Mengele in Auschwitz überlebt, konnte sich nach Israel retten und fand hier im Heim ein Zuhause für die letzten Jahre. Sie war vor wenigen Jahren Gewinnerin des alljährlich stattfindenden Schonheitswettbewerbs "Miss Holocaust surviver".
Klingt so ungewöhnlich, wie es ist. Infos gibt es auf Wikipedia.
In dem kleinen Museum des Altersheims erzählt sie ihre Geschichte. Da lacht sie einem von der Leinwand entgegen, während sie die furchtbaren Details erzählt. Im Park, als ich neulich neben ihr saß und ihre Hand stzreichelte, entdeckte ich die Nummer auf ihrem Arm. Verblasst, nicht mehr alle Zahlen sind zu erkennen- Eine 8, eine 7, eine 2.
Ich bin erschrocken, als hätte ich etwas Verbotenes entdeckt. Und ja: Es ist verboten.
An Shoshanas Bett stehe ich nur für kurze Zeit. Meine Frage, wie es ihr geht, beantwortet sie mit : Gut! Ich rufe ihr ein paar Schlüsselworte ins Ohr: Park, nach Hause, Shabat Shalom. Und sie antwortet mit Shabat Shalom.
Am Sonntag kommt sie zurück, sagen die Ärzte. Ich hoffe es sehr.
Shabat Shalom.
Spät am Abend rufe ich meine Mama an. Unser Gespräch mäandert zwischen den Himbeeren im Garten, den Naziaufmärschen in Chemnitz und unserem Wunsch nach baldigen Wiedersehen umher.
Wie schön ist es, mit der Mama zu telefonieren. Shabat shalom.