Kleine Alltagsfragen und erster Shabat in Haifa

Der Berg mit meinen verschwitzten und verstaubten Klamotten wird gefährlich größer. Ich wühle in den sauberen Kleidern herum, es reicht noch für heute, dann muss gewaschen werden. Das Thema schiebt sich mehr und mehr in den Vordergrund. Nicht mal eine Schüssel habe ich bisher.  Meine Ansprüche herunterschraubend, wäre ich mittlerweile bereit, meine Wäsche in der  Spüle in der Küche zu waschen. kurzer Blick in die Spüle, ins Miniwaschebcken im Bad- kein Stöpsel. Nichts zum Aufhängen in der Wohnung. Ok, ich muss irgendwie handeln.

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Der Morgen im Yad Ezer le haver schenkt mir wunderschöne Momente, ich muss sie nur ergreifen und tue es:

Zwi und Judit Rosenzweig sitzen zusammen auf ihrem Bänkchen vorm Haus. Kurze Begrüßung, Händehalten, ein paar Worte austauschen, sich fürs Mittagessen verabreden, hier geht man nie einfach aneinander vorbei.

Nahum und Klara- Das Pärchen auf dem großen Ehebett. Sie malt in ihrem Ausmalheft, filigrane komplexe Bilder, die sie mit wunderschönen Farben füllt. Ich denke, ich könnte mein Zeichenbuch mal mit zu ihr mitnehmen. Vielleicht frage ich sie, ob ich eines ihrer Bilder abzeichnen könnte. Irgendwie möchte ich den Zugang zu ihr finden, sie ist scheu. Von Angela weiß ich, dass sie auch mit Depressionen zu kämpfen hat.

Ihr Mann Nahum liegt nach Schlaganfall im Bett. Seit ein paar Monaten bekommt er von Angela Physiotherapie.  Das wirkt, wir planen, nächste Woche mit ihm rauszugehen.

Mein Angebot , auch an Shabat zu kommen, nimmt er gerne an. So starte ich meinen Morgen als Physiotherapeutin. Ich halte, knete, beuge und strecke seine Hände, Füße , Beine. In einem schönen Kauderwelsch aus Jiddisch, Deutsch und hebräisch sind wir drei für einen zauberhaften Moment zusammen auf diesem Bett. Klara hat sich aus dem Nachbarraum zu uns gesetzt. Das ist schön. Auf ihrer Bettseite sitzend holt sie  ihr Buch und die Zeichenstifte heraus, malt, gelegentlich wechseln wir ein paar Worte. Auch wenn man es nicht sieht, sie schaut genau, was ich mache. Mein Angebot, auch einmal ihre Hände zu massieren, lehnt sie ab. Auch zur Gymnastik wird sie nicht kommen. Alles hat seine Zeit.

„Machst deine Arbeit gut, Meijdele.“ Wo sonst könnte ich solche Sätze hören, wie Nahum sie mir nach der Physiotherapie schenkt? Gut, dass ich gestern sehen konnte, was Angela mit ihm gemacht hat. Das hilft mir auch als Vorbereitung für meine eigene Gymnastikgruppe am Sonntag und Donnerstag vormittag.

Lehitraot und Yom Tov- ich muss los, will mir vor Shabat noch eine Plastikschüssel kaufen, Am Sonntag bekomme ich den Wäschetrockenständer von Judit. Vielleicht hänge ich bis dahin ein paar Sachen einfach über die Stuhllehne.

Beim Rausgehen werfe ich einen Blick ins geöffnete Zimmer von Sofia.

Mein Glück ist, dass sie mich nach meinem Weg fragt, und so laufe ich einen Augenblick später mit einem Trockenständer nach Hause. Enkelingefühle, Tochtergefühle durchströmen mich warm.

Und endlich weiß ich, wo ich meine Wäsche waschen kann. Ich komme langsam an.

Mittagessen im Heim, am Tisch von Manja. Salate bekomme ich hier, frisch, lecker,  und Wasser frei in meine große Flasche. Ich muss viel trinken.

Beim Warten an der Waschmaschine Fotos anschauen mit Liberta aus Rumänien. Sie spricht so leise, dass ich sie manchmal kaum verstehe. Frage ich sie zwei Mal, ob sie auch Fotos von sich hat, von früher, sagt sie einfach nur, habe ich .. und fährt fort, mir die farbenfrohen Fotos der süßen prallen Urenkelchen zu zeigen.

Am Nachmittag schweißtreibender Weg zur Reformsynagoge, wo ich mit Angela den Shabat beginnen will. Busverkehr dorthin ist wohl schwierig. Und da Angela , so wie ich, gerne ihre Abenteuer erläuft, machen wir uns mit Turnschuhen und großer Wasserflasche auf den Weg. Haifa liegt auf Hügeln, die sich in der nachmittäglichen Hitze zu echten Herausforderungen für mich entwickeln. Aber ich werde belohnt mit einem atemberaubenden Blick auf die Bucht, auf den Hafen, auf die Stadt am Hang. Ich genieße den frischen Wind, der meine Haut kühlt. Schenke der Stadt von oben ein Lächeln. Weiter, wir müssen noch hinter diesen Hügel in ein benachbartes Wohngebiet. Es redet sich gut mit Angela, der Nurse im Heim. Zu Hause arbeitet sie als Notfallärztin, hat über die Wundbehandlung mit Honig promoviert.

Unsere Gespräche kreisen um unsere Motivation, hier zu sein. Sehr persönliche, fast sanfte Worte, zärtliches ist dabei, typisch deutsches….natürlich: das Interesse am Judentum, die Verantwortung, es wird allgemeiner, bei ihr religiöser: Suche, Jesus, Freiheit …die  Bibel verflucht einen  Schuldigen bis in die 4. Generation. Ich widerspreche ihr, ich fühle keine Schuld. Keinen Fluch. Warum auch? Und wie könnte ich mit einem Fluch hier sein? Ich empfinde mein Leben als Segen. Lass es uns einfach auch Neugier nennen. Das ist auch eine starke Motivation.  Wir reden über den allgegenwärtigen Konflikt hier, die Frage, wie wir beide, wie unsere Familien zu Hause damit umgehen. Während wir uns den Berg hochkämpfen, reden wir weiter- über die Tatsache, dass wir hier in Haifa im Norden sind, nicht weit von der Grenze zu Syrien, zum Libanon. Unser Vokabular verändert sich-  Hisbollah, Iran, dessen erklärte Absicht es ist, Israel von der Landkarte zu tilgen, es geht um Luftschutzbunker, um die Tatsache, dass es keine oder nur zu wenige hier gibt. Dass unser Speisesaal im Heim zu einem Bunker umgebaut werden soll…Ich stehe während dieses Gesprächs wie neben mir, versuche zu erfassen, was es bedeutet, in solch einer Realität zu leben. Es ist eine potentielle Kriegssituation, denn es ist kein Frieden. Oder wie soll ich dieses Gespräch sonst einordnen…

Und da sehe ich sie: Raketentürme. Hinter den Hochhäusern, also eigentlich direkt daneben, fällt mein Blick abgezäuntes Gelände, Stacheldraht.  Angela erklärt mir: Sind die Abschussrampen  oben, gibt es eine Bedrohungssituation. Ich sehe- sie sind oben.

Das ist also der Weg zu unserer Synagoge, die wir kurz danach erreichen. An Raketenabschuss-türmen vorbei. Israel- du kleine Nuss-schale im nahen Osten.

In der Synagoge lachende Gesichter, eine Rabbinerin, wunderschöne Gesänge, spielende Kinder- die Wärme des Ortes widerspricht der Temperatur, mit der die Klimaanlage eingestellt ist. In meinem verschwitzten Kleid muss ich nach kurzer Zeit raus in die warme Sommerluft. Werde belohnt mit herrlicher Aussicht aufs Meer. Die Tür der Synagoge ist offen, ich höre die Gesänge.

Shabat shalom.

Den Rückweg nehme ich allein und erlaufe mir mein Haifa. Ich lande zufällig an der Drahtseilbahn. Kurze Überlegung, ob ich die 25 Shekel rauswerfen kann... und die Windungen, die mir mein Navi zeigt, um von hier runter zu kommen, machen mir die Entscheidung leicht. Nur wenige Augenblicke später schwebe ich in einer runden Kabine  runter an den Strand.  Meeresdüfte, Wellenrauschen, Multikulti auf der Strandpromenade. Die Klimaanlagen kleben an den Hochäusern wie Schwalbennester. Und ich stehe wie fast immer im Schweiß.Ohne Air condition würde es hier  kaum gehen. Musste es aber einst..Manchmal sehe ich mich im Traum in derben Khakihosen auf eine Hacke gestützt in der heiß- braunen Landschaft stehen. Der Blick schweift über das flirrende Land, und ich stelle sie mir vor, die große Frage im Kopf: Was mache ich hier? Will ich hier weiter leben? Unvorstellbar ist  dann noch der Gedanke, wen man alles zurück lassen musste in Europa.

Ich würde gerne näher heran an den Punkt, den schmerzhaften: Was geschah hier, damals. Was geschah mit den Menschen, die hier hre Häuser, Zelte, Olivenbäume hatten. Immer wieder sehe ich die alten Bäume zwischen den Wohnhäusern.... Als wollten sie mir etwas sagen, drängen sie sich leise vor mein Auge.

Viel Russisch höre ich hier in Haifa.  Die Russen...als Einwanderer kamen sie in Scharen hierher in diese Hitze, in die Wüste,  Aus ihrem oft so kalten Russland. Was mögen das für Geschichten sein. Ihr Ankommen im nahen Osten.

Und wieder einmal laufe ich durch die schöne German Colonie, oben leuchtet der Bahai- Schrein und schickt seine wohlgeordneten, symmetrischen Lichtarrangements in den nächtlichen Himmel.

Ich werde hungrig, schaue in die geöffneten arabischen Läden, finde noch nicht das Passende. Das Zögern hat sich gelohnt:  Falafel in einem kleinen Imbiss am Sraßenrand... dann tragen mich meine Füße  nach Hause.

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